Cluny: Mehr als nur ein Kloster
Als Herzog Wilhelm I von Aquitanien 910 das Kloster erschaffen ließ, war die Intention der Klostergründung, für das Seelenheil des Stifters zu beten. Mit der Einsetzung des ersten Abtes Berno entstand Cluny zu Beginn des 10 Jahrhunderts in einer Zeit, in der das Interesse der Bevölkerung an geistlichen Dingen nicht groß war. Die Begeisterung der Menschen für die Gottesverehrung wiederzugewinnen, stand im Interesse der Mönche des Klosters und dies sollte auch über die Klostermauern hinaus geschehen.
Von Wilhelm I. in einer Urkunde festgehalten sollte das Kloster Cluny keiner irdischen Herrschaft unterworfen sein. Bei der näheren Ausführung Wilhelms I. wird das eigentliche Novum innerhalb seines Anliegens deutlich. Denn zur irdischen Herrschaft werden hier auch sämtliche klerikalen Kräfte wie Bischöfe oder der Papst selbst gezählt. Dass ein Kloster mit der Intention geführt wurde, sich ausschließlich Christus und den Aposteln Paulus und Petrus selbst zu unterwerfen, ist bis dahin unbekannt
Neben dem Verzicht des Gründers auf sämtliche Ansprüche, auch schon zu Lebzeiten, ist die geografische Lage, die Wilhelm I. wählte, ebenso eigenartig und nur damit zu erklären, dass es ihm um die Erlangung des Seelenheils ging. Es lag so weit außerhalb seines Aktionsradius, dass er kaum in der Lage gewesen wäre, großen Einfluss darauf zu gewinnen oder militärischen Schutz gewährleisten zu können. Die Hauptaufgabe des Klosters bestand darin, für die Armen zu sorgen. Wilhelm I. erhoffte sich sein Seelenheil durch diese Schenkung und betrachtete es als seinen Beitrag zur Versorgung der Armen, die für ihn in Gestalt der Mönche im Kloster lebten und beteten.
Was die enorme Außenwirkung hervorrief, die sich rasant in der Bevölkerung herumsprach und bleibenden Eindruck hinterließ, war der Bestand des Klosters und die strenge Befolgung der Regeln innerhalb des Klosters, über den Tod des Stifters und über die Amtsdauer des ersten Abtes Berno hinaus. Die Bevölkerung, geistliche und weltliche Mächte, erlebten mit, wie die Mönche in Cluny streng nach der Benediktregel lebten, gottesfürchtig und in sich gekehrt, weit ab von Städten, unabhängig von König und Papst. Und eben die streng gläubigen Mönche hinter den Mauern waren es, die durch ihre besondere Fähigkeit, nicht im Ansatz von den Regeln abzuweichen, dem Kloster die notwendige Kontinuität verliehen.
Bedeutende Persönlichkeiten
Berno von Cluny hatte dem Kloster als erster Abt eine bedeutende Prägung verliehen, die sich im Einhalten der Benediktregel niederschlug. In dem von ihm vertretenen Mönchsideal geht es hauptsächlich um Spiritualität, Meditation und geistige Schau. Dem kontinuierlichen positiven Verlauf der Festigung Clunys von innen und der enormen Außenwirkung lag ein Prozess der Abtwahl zugrunde. Der Abt des Klosters schlug seinen Nachfolger vor, der von den übrigen Brüdern lediglich bestätigt werden musste. Mit Berno begann die Serie der außergewöhnlichen Äbte, die sich über eine lange Zeit hin erstreckte. Fünf Äbte wurden nacheinander benannte, jeweils mit sehr langen Amtsdauern. Nach Bernard folgten zwischen 927 und 1109 Odo, Aymard, Maiolus, Odilo und Hugo.
Odilo, der von 994 bis 1049 Abt von Cluny war, führte unter anderem den Tag „Allerseelen“ ein, der noch heute als Gedenktag für alle Verstorbenen begangen wird. Es lässt sich vermuten, dass die Möglichkeit des jeweiligen Abtes den Nachfolger persönlich zu bestimmen für die Persönlichkeit und die Menschenkenntnis von allen fünf Äbten ausschlaggebend war. Durch Feinsinnigkeit und ein Gespür dafür, welche Persönlichkeit die Anforderungen des Klosters weiter umsetzen kann, kam für jeden dieser fünf Äbte eine lang andauernde Amtsperiode zustande. Und die nach Berno gewählten Äbte erfüllten die an sie gestellten Erwartungen in ganzer Linie, so dass sich der Ruf Clunys als einmalige spirituelle Institution, geführt von außergewöhnlichen Persönlichkeiten, festigen konnte.
Was neben der persönlichen Breitenwirkung der Äbte selbst den Aufschwung unterstütze, war ein Papstprivileg von 931, nachdem in Cluny künftig Mönche anderer Klöster aufgenommen werden durften, ohne die notwendige Zustimmung ihres jeweiligen Abtes. Des Weiteren war Cluny nun befähigt, die Leitung über reformbereite Klöster zu übernehmen. Hierfür finden sich in der Geschichte bis zu diesem Zeitpunkt keine Parallelen. Die Mönche Clunys waren für ihre strenge Spiritualität bekannt. Also lag es ein weiteres Mal am Geschick der Äbte Clunys, die richtigen Personen in den Kreis der gläubigen Mönche zu berufen. Zwar hatte es schon Zusammenschlüsse von Klöstern gegeben, aber nie einen von höchster irdischer Stelle – dem Papst – legitimierten Klosterverband.
Die Reformbewegung, die von Cluny ausging – nicht gleichzusetzen mit der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts – erfasste rasant weite Teile Europas. Zu seiner Hochzeit hatten sich bis zu 1.200 Klöster und ungefähr 20.000 Mönche dem Hauptkloster der Bewegung angeschlossen bzw. untergeordnet.
Der Untergang
Obwohl anscheinend nachhaltig viele der Tugenden und Fähigkeiten der Äbte Clunys mystifiziert worden sind, bleibt von den „fünf großen Äbten Clunys“ ein Bild außergewöhnlicher Charaktere, ohne die die Reichweite Clunys niemals zustande gekommen wäre. Ohne deren jeweilige strenge Einhaltung der Regeln im Kloster, deren Außenwirkung in ganz Europa, trotz oder vielleicht gerade wegen der Unabhängigkeit weltlicher und geistiger Macht, erscheint die von Cluny ausgehende Klosterreform undenkbar.
Der Rückgang des Ansehens Clunys war trotzdem nicht zu verhindern. In der höchsten Entfaltung und der Unterstellung der vielen hundert weiterer Klöster scheint sich der Punkt des Verfalls zu verbergen. Durch starke Persönlichkeiten ins Leben gerufen und am Leben erhalten, konnte sich Cluny zu Beginn des 12 Jahrhunderts nicht länger halten. Die Gründe hierfür scheinen einfach und doch so zerstörerisch für die Klosterreform.
Das Gebet war die Hauptaufgabe des Tages, während die Handarbeit vernachlässigt wurde. Laien wurden vom Kloster durch die Gebete für das Seelenheil angezogen. Auch führten die vielen Schenkungen von Adligen zu einer Art Abhängigkeit der Klöster und zu einer Vernachlässigung der Armenbewegung. So sank das Ansehen Clunys, die außergewöhnlichen Charaktere, Äbte und Mönche Clunys verblassten mit ihm. Im Gegensatz zu dem neuen Zisterzienserorden erlebte Cluny im 12. und 13. Jahrhundert keinen weiteren Aufschwung.