Postkartengrüße von früher
Fotos vergangener Zeiten üben einen besonderen Reiz auf Sebastian Winkler aus. Von den schönsten seiner Sammlung druckt er Postkarten.
Eine Reise in die Vergangenheit von Thomas Schnieders.
Postkarten, die dokumentieren
Etwa bei dem Bild des Gemüsestandes auf dem Viktualienmarkt von 1912. Eine Frau sortiert gerade die dargebotenen Waren, der Chef steht seitlich am Rand, ein Bein leicht vorgestellt, doch der Rücken gerade, mit Mütze, dicker Jacke und Schürze. Doch unverkennbar als Herr über frische Steinpilze, Wacholdersülze und Teltower Rübchen. Im Wortsinn ein Zeitdokument. „Ich kaufe Bilder, die dokumentieren.“
Ein Sammler sei er seit jeher, erzählt Winkler in seinem kleinen Laden im Münchner Glockenbachviertel. „Alterthümer“ hat er ihn genannt, und man hat aus seinem Schaufenster heraus einen wunderbaren Blick auf die Isar. In den hinteren Räumen hat er sein Archiv aufgebaut. Wie viele Fotos und Bildbände er besitzt, das weiß er gar nicht so genau. Doch sorgsam sortiert er alles in graue Schachteln. Jeden Tag komme mehr hinzu, immer schaut er, zum Beispiel bei Internetauktionen, ob etwas dabei ist, das ihn interessiere. Er sei wie ein Pilzsammler, der bestimmte Plätze im Wald kenne und täglich nachsehe, ob von den guten Steinpilze neue gewachsen seien.
Ein Nostalgiker sei er jedoch nicht, betont Winkler. Er blicke auf die vielen Aufnahmen in seinem Archiv wie ein Historiker, sein Anspruch sei ein universeller. Mit seiner Sammlung möchte er ein Stück Geschichte dokumentieren. Bei München gehe das ganz gut, denn hier sei immer schon viel fotogra-fiert worden. Im Gegensatz zu anderen Städten, von denen oft keine Alltagsszenen, sondern nur Sehenswürdigkeiten erhalten seien. Seine Bewunderung gilt früheren Fotografen, denen wir zu verdanken hätten, dass wir das Alltagsleben der Vergangenheit nicht nur anhand überlieferter Worte kennen.Wie sich sprichwörtlich die Zei-ten ändern, kann in Winklers Postkartenkatalog jeder nachvollziehen.
Bilder vergangener Tage
Da ist der Junge zu sehen, über die Schulter hat er lässig einen Hammer geschwungen, neben ihm hängt ein frisch geschlachtetes Schwein an einer Leiter, aufgeschnitten ist es schon, der Kopf fehlt. „Schlachtfest“ hat Winkler das Motiv genannt. Mit einem Lachen im Gesicht hält der Junge mit der linken Hand die Pfote des toten Schweins fest. „Früher war so etwas ganz normal“, sagt Winkler und lächelt selbst auch.
Solche Begebenheiten waren für viele Leute vielleicht so banal, dass sie sie gar nicht festhielten. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg sei jeder gefangen gewesen im Existenzkampf, vermutet Winkler. „Die meisten dokumentierten wohl deshalb eher ihr privates Glück.“ Aber auch an solchen Familienaufnahmen lasse sich viel ablesen. „Das Porträt um 1900 war geprägt von Steifheit, die gesellschaftliche Position wurde da dokumentiert.“ Bis heute sei das viel lockerer geworden.
„Mein Leben lang habe ich gesammelt und mich für Geschichte interessiert“, erzählt Winkler und blättert dabei einen Reisebildband von vor über 100 Jahren durch. „Man kann den Reiseweg schön nachvollziehen“, sagt er und versinkt in Fotos von Frauen in chinesischen Trachten und kanadischen Wanderarbeitern. Sebastian Winkler ist wieder eingetaucht in ein Wimmelbild vergangener Tage.