Im Land der Bibel
Der „Museumspark Orientalis“ im niederländischen Nimwegen war ursprünglich ein Panoptikum des Lebens Jesu und zum Glaubensunterricht ins Leben gerufen. Heute wurde der Blick erweitert auf die drei großen Weltreligionen. Besucher können flanieren, schauen, schmecken, Fragen stellen – und nicht wenige erkennen staunend, wie viele Gemeinsamkeiten Christentum, Judentum und Islam haben.
Von Jutta M. Kalbhenn und Martin Egbert (Fotos)
Im staubigen Innenhof der Karawanserei flackert ein kleines Feuer. In der Asche daneben steht ein rußiger, großer Wasserkessel, und über den Flammen wölbt sich ein Metallblech. Rauch zieht durch den Hof und der Duft nach frisch gebackenem Brot. Die Beduinin im blauen Gewand mit den reichen Stickereien auf der Brust backt Fladen für die Händler, die sich von ihrer Reise unter sengender Wüstensonne nun ausruhen können.
Gut – ganz so heiß brennt die Sonne heute nicht vom Himmel, und eine Karawane ist auch nicht gerade angekommen, sondern eine Schulklasse: Aber so ähnlich mag es zugegangen sein, wenn die Gewürzhändler zur Zeit Jesu nach anstrengendem Tagesmarsch Station machten. Dieses „Heilige Land“ liegt knapp hinter der niederländischen Grenze: Wüste, Beduinenzelte, orientalische Häuser und Gassen, Bethlehems Hirtenfelder, der See Genezareth, sogar der Ölgarten lassen eintauchen in das Palästina zur Zeit Jesu. Pastor Arnold Suys hat es 1911 hierher geholt: Wer nicht selbst nach Palästina reisen konnte, und das waren auch zur damaligen Zeit die meisten, sollte dennoch die Orte erleben können, an denen Jesus sich aufgehalten und gewirkt hat. Das Areal nahe der Stadt Nimwegen war ideal, denn das Heilige Land ist bergig – und hügelig ist es hier, wie sonst fast nirgends in den Niederlanden.
Eng schmiegen sich die Lehmhäuser hier aneinander, kann man einen Blick in „Marias Haus“ werfen, eine schlichte Hütte, in der Menschen und Tiere unter einem Dach lebten. Schmale Gassen und Treppen führen auf einen kleinen Marktplatz, an dem die weit geöffnete Tür in eine Synagoge lockt. Sie ist an der höchs-ten Stelle des Ortes gelegen, denn niemand durfte höher wohnen als die Synagoge lag. Geprägt ist der Raum vom Toraschrein und der kunstvoll geschnitzten Bima, dem erhöhten Lesepult, auf das der Rabbi zur Auslegung der Tora steigt. Aus Lautsprechern dringen leise jüdische Gebetsgesänge, und indem sie den Raum betreten, werden die draußen noch quirligen Kinder still, staunen – und schauen in eine ganz andere Welt.
Die Schauplätze, die die ersten Besucher vor über hundert Jahren an Jesu Leben heranführten, gibt es heute noch, über das Museum verteilt: Lebensgroße Figuren, die sein Leben illustrieren. Hirten etwa, die von ihrem Schäferturm aus die in den terrassenförmig angelegten Wiesen weidende Schafe hüten. Eine kleine Felsgrotte, in der die Geburtsszene Jesu dargestellt ist, und die weit entfernt ist von strohdachgedeckter Weihnachtsromantik. Der Hohe Rat, der erregt über Sanktionen für Jesus berät. Aber die von Piet Gerrits geschaffenen Figuren sind etwas in den Hintergrund getreten, und der Fokus ist nun viel weiter aufgezogen.
Am See Genezareth vorbei gelangen Besucher in das Arabische Dorf, das 1975 ursprünglich als Fischerdorf angelegt worden war, da in der Bibel Geschichten über Fischer eine wichtige Rolle spielen. Ein Fischerdorf ist es heute noch, und Josefs „Zimmermannshaus“ mitsamt Werk-statt ist weiterhin hier zu besichtigen. Aber nun eben auch eine Moschee: In den 1990er-Jahren fand die Umwidmung statt, und seither erfahren die Besucher hier, im Sinne des neuen Konzeptes, viel über den Islam und die arabische Lebenswelt. 2008 wurde es umgebaut nach dem Vorbild des Fischerdorfes Mirbat im Oman: Jenes war schon zu alttestamentlicher Zeit ein wichtiger Lieferant für Rauchwaren für den Nahen Osten.
„Was gibt es im arabischen Dorf nicht zu kaufen? Warme Winterstiefel, kostbaren Schmuck oder Weihrauch?“ – fröhlich durchstreifen Kinder die Häuser und Gassen, suchen nach Antworten für die Aufgaben auf ihrem Fragebogen und scheuen sich auch nicht, die „Bewohnerinnen“ anzusprechen. Die Studentin Valerie Uiterwaal ist dafür in türkisfarbene Pluderhosen, Bluse und Kopftuch geschlüpft, hat es sich auf einer Terrasse gemütlich gemacht, auf der Hocker und Bänke zum Ausruhen einladen und beantwortet geduldig alle Fragen, die kleine und große Besucher hier haben. Etwa nach der Rezeptur für den Tee, den sie hier kocht, und der so ganz anders schmeckt als der bei den Beduinen. Würziger, exotischer. „Ich mag die Arbeit hier“, erzählt die 26-Jährige, die dreimal die Woche in den Museumspark kommt. „Es macht mir Spaß, in andere Rollen zu schlüpfen und mit so vielen Menschen ins Gespräch zu kommen!“
Sie wechselt gerne die Stationen, springt mal hier ein und mal dort – im Gegensatz zu Ge Denbok, der von ganzem Herzen römischer Zenturio ist und vor allem kleinere Besucher gerne auch mal mit inszenierten Schwertkämpfen beeindruckt. Geschichte macht dem 62-Jährigen generell Spaß, die römische erst recht, und so vertritt er mit einigen weiteren Kollegen die römische Besatzungsmacht.
Eine römische Taverne gibt es, in der Museumsgäste sich stärken können eine Korbflechterei, Bildhauer und Räucherei: hier pulsiert das antike Alltagsleben.
Hinter den Fassaden blicken Besucher in Kulträume römischer Gottheiten, jedoch auch in ein ägyptisches und ein griechisches Wohnhaus. Hier ist noch die ursprüngliche Idee lebendig, die Welt der Bibel in all ihren kulturellen Facetten darzustellen. Die Ehrenamtlichen füllen Gebäude und Straßen täglich mit Leben, was den besonderen Reiz des Museums ausmacht.
Römerinnen weben Gurtbänder, ein Korbmacher flicht mit Weidenruten, die Räucherei arbeitet zugleich der Taverne zu: Viele Schulklassen kommen hierher, aber auch einzelne Besucher und Familien aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland erleben so ein lebendiges Stück Orient und eine Zeitreise zugleich.
Im Hauptgebäude befindet sich eine ergänzende Ausstellung zu den drei monotheistischen Religionen: „Als Gott noch schrieb“ umfasst die Entstehungsgeschichte der Bibel, der Tora und des Koran. Und es sind nicht wenige Besucher aller Religionen, erzählt Linda Scholte Lubberink, die die Ehrenamtlichen koordiniert, „die nachher nach Hause gehen und nachdenklich sagen: Im Grunde sind wir uns doch alle sehr ähnlich.“