Cremig mit einer Spur von Rosine
In den Edelbränden von Theres und Georg Glitz-Ehringhausen spiegelt sich die Vielfalt der Natur.
Von Anke Schwarze
Die Bodenkacheln im Herzstück der Brennerei Ehringhausen markieren eine historische Zäsur –
zwischen der münsterländischen Kornbrennerei von 1962 und einem modernen Handwerksbetrieb, in dem feinste Brände produziert werden. Auf rustikalen Schachbrettfliesen im Eingangsbereich steht ein Kessel aus den Anfangszeiten der Kornbrennerei. Darin wird noch heute die Maische auf 80 Grad erhitzt. Im angrenzenden Raum befindet sich, auf einem anspruchslosen Fliesenraster, eine hochmoderne Anlage aus dem Jahr 2017. Hier entstehen Destillate von kräftiger Aromatik.
Verantwortlich dafür sind die Geschwister Theres und Georg Glitz-Ehringhausen. Sie haben den Familienbetrieb im westfälischen Werne vor acht Jahren übernommen und die Tradition weiterentwickelt – von reinem Rohbrand zu fassgereiften Edelbränden unterschiedlicher Geschmacksrichtungen. Gegründet hatte die Brennerei der Großvater, Heinrich Glitz, zusammen mit seiner Frau Anneliese Glitz-Ehringhausen und seinem Bruder Joseph. Eine große Nachfrage an Kornbrand brachte die beiden Landwirte auf die Idee. „Korn war damals im Münsterland und im Ruhrgebiet das Standardgetränk und entsprechend knapp“, erzählt Georg Glitz-Ehringhausen. Die Brüder Glitz stellten ausschließlich Rohbrand her – 85-prozentigen, nicht trinkbaren Alkohol.
Damals galt noch das staatliche Brandweinmonopol: Der Staat nahm den von Brennereien produzierten Alkohol zu Festpreisen ab. In den 1990er-Jahren bauten Heinrichs Sohn Manfred Glitz und seine Frau Elisabeth die Produktion aus: Sie brannten Bio-Spirituosen. Anstelle des traditionellen Weizens verwendeten sie Dinkel als Grundlage für ihre Brände, die sie selbstständig vermarkteten. Georg deutet auf eine mehrstufige Destille: „Die ist noch von Papa.“
Als vor einigen Jahren ein Generationswechsel anstand, übernahm der älteste Sohn Heiner Glitz-Ehringhausen die Landwirtschaft – und seine Geschwister entschlossen sich 2012, die Brennerei weiterzuführen. „Wir waren überzeugt, dass Korn ein Produkt mit geschmacklichem Potenzial ist“, sagt Georg Glitz-Ehringhausen. Immerhin sei es neben Wodka die reinste Spirituose der Welt. Seine Schwester Theres ergänzt: „Es hat mich schon immer fasziniert, Aromen aus der Natur in Alkohol zu binden und in Flaschen zu bringen.“
Der Gedanke an die Familientradition spielte zunächst keine Rolle bei der Entscheidung. „Im Gegenteil, unsere Eltern waren eher besorgt um unsere Zukunft“, erzählt Theres Glitz-Ehringhausen. Immerhin verließen die beiden jungen Menschen nicht nur ihre angestammten Berufsfelder – Georg hat Landwirtschaft studiert, Theres Modedesign –, sondern setzten auf einen Betriebszweig, der mit Risiken behaftet ist. Denn Korn ist nicht mehr das gefragte Getränk, das es zu Zeiten der Großeltern war: Anders als Whisky oder Gin gehört er nicht zu den Trendspirituosen. „Dabei lässt er sich genauso veredeln wie Whisky“, erklärt Georg Glitz.
Wie, das mussten die Geschwister sich erst aneignen. Sie ließen sich zu Destillateuren weiterbilden, forschten, probierten, profitierten von Erfahrungen der Vorfahren. „Während dieses Entwicklungsprozesses wurde uns immer klarer, dass wir zurück zu unseren Wurzeln kommen“, erzählt Theres. Ihr Bruder schaut auf die Anlagen aus fünf Jahrzehnten, in denen gemahlen, gemaischt und destilliert wird: „Wir sitzen hier, weil Generationen vor uns hier etwas aufgebaut und gut gewirtschaftet haben.“
Wie die Eltern entschieden sich die Geschwister für nachhaltig hergestellte Spirituosen. Sie verwenden nur regionale Getreide aus biozertifizierten Betrieben – Roggen, Weizen sowie die alten Sorten Dinkel und Emmer. Die unterschiedlichen Geschmacksnoten, die daraus jeweils entstehen, vergleichen Georg und Theres Glitz gerne mit Brotsorten: „Weizen ist eher neutraler, Roggen schmeckt würziger“, erklärt Georg. Dinkel verwendet er besonders gerne wegen seiner leicht nussigen Note.
Aber Dinkelbrand ist nicht gleich Dinkelbrand und Roggenbrand nicht gleich Roggenbrand. Der eine hat eine Note von „cremiger Schokolade“, der andere von „Vanille mit einer Spur von Rosine“, wie es in den Deklarationen heißt. Diese unterschiedlichen Aromen entfalten sich dank eines Verfahrens, das Bruder und Schwester der Whisky-Herstellung abgeschaut haben: dem Fassausbau.
Im ehemaligen Kuhstall des im 18. Jahrhundert gebauten Hofhauses lagern etwa 250 Holzfässer. „Das sind unsere Schätze“, sagt Georg Glitz-Ehringhausen und tätschelt eines der 500-Liter-Fässer. Mindestens drei, manchmal sogar sechs Jahre lang dürfen die Feinbrände darin reifen. Es dauerte seine Zeit, bis er und seine Schwester herausgefunden hatten, welcher Fasstyp sich für ihre Brände am besten eignet. Sie suchten zunächst kleinere Küfereien aus, ließen dort ihre Destillate in 50 Zehn-Liter-Fässern ausbauen und schauten, was herauskam. „Anfangs waren wir schon begeistert, wenn das Produkt nach zwei Wochen etwas Farbe angenommen hatte“, erinnert sich Georg und lacht.
Die Wahl fiel schließlich auf Eichenfässer. „Vor allem deutsche Eiche verleiht dem Produkt eine würzige Note“, erklärt Glitz. Mit dem Holz allein ist es allerdings nicht getan: Aus aller Welt kaufen die Geschwister Fässer, in denen zuvor andere Alkoholsorten heranreiften – Calvados oder Cognac aus Frankreich, Sherry aus Jerez de la Frontera oder schottischer Malt-Whisky. Jedes Fass drückt den Destillaten der Brennerei Glitz-Ehringhausen seinen eigenen Charakter auf.
Das einstige Stallgebäude bietet den aufgestapelten Fässern ideale Bedingungen. Wenn der Wind durch das alte Gemäuer pfeift, ist das gut fürs Holz. „Fässer müssen atmen“, erklärt Georg Glitz-Ehringhausen. Er deutet auf ein altes Kupferrohr, das aus einer weiß gekalkten Wand herausführt. „Dieses Rohr ist mit der Brennerei verbunden. Darüber wurde früher die Schlempe in die Futtertröge der Kühe geleitet.“ Schlempe werden die Rückstände genannt, die nach der Destillation übrig bleiben. Sie enthalten die nicht-alkoholischen Stoffe aus der Maische. Dank ihres hohen Anteils an Eiweißen und Mineralstoffen ergeben sie ein hochwertiges Tierfutter. „Als Kind war es meine Wochenend-Aufgabe, die Tiere mit dem warmen Brei zu füttern“, erinnert sich Georg.
Inzwischen reicht der Platz in dem historischen Gebäude nicht mehr aus. Nebenan wird derzeit ein neues Lager gebaut.
Nach dem Fassausbau werden die Brände noch weiter veredelt – „gefinished“, wie es in der Fachsprache heißt. Für ihren Zitronen- oder Haselnussgeist verwenden die Ehringhäuser nur natürliche Aromen. Und sie experimentieren mit weiteren. Im Brennerei-Gebäude öffnet Georg Glitz-Ehringhausen einen hohen Stahlbehälter. Es duftet verführerisch – ein bisschen nach Weihnachten und nach Orient. Er schöpft eine Kelle heraus, im Alkohol schwimmen Pimentkörner, Kardamom, Muskatblüten und Koriander.
In einem Nebenraum steht eine ganze Batterie von Glasfläschchen auf einem Tisch. Darin wurden verschiedene Kräuter, Blüten wie Buschklee und sogar Kakao angesetzt, um zu testen, wie diese mit den Destillaten reagieren. Auf der Basis seines Kornbrandes stellt Georg Glitz-Ehringhausen auch Gin, den klassischen Wacholderschnaps, her. „Dafür habe ich lange nach den perfekten Wacholderbeeren gesucht“, sagt er.
Es braucht nicht nur Geduld und Experimentierfreude, bis ein verkaufsfertiges Produkt vor den Geschwistern steht. Es braucht außerdem Ausdauer bei der Vermarktung. „Als wir uns 2013 auf einer Messe präsentiert haben, mit dem Slogan ‚Korn kann mehr‘, sind wir erst mal ausgelacht worden“, erinnert sich Georg. Inzwischen haben sich die Geschwister auf dem Markt etabliert und sogar schon Preise gewonnen. So erhielt ihr „Lord No. 4“, ein im Whiskyfass von der Insel Islay gereifter Bio-Kornbrand aus Dinkel, Roggen und Gerstenmalz, beim Internationalen Spirituosen Wettbewerb „Meiningers International Spirits Award ISW“ 2019 eine Goldmedaille und die Auszeichnung „Korn des Jahres 2019“.
Und der Kundenstamm wächst. „Immer mehr Menschen sind bereit, für nachhaltige und ehrliche Produkte ihr Geld auszugeben“, berichtet Theres Glitz-Ehringhausen. Mehr Geld allerdings, als für die handelsüblichen Marken aus den Supermarktregalen. „In unseren Flaschen steckt viel Zeit, Handarbeit und Herzblut“, sagt Theres. Gar nicht zu reden von den Investitionen in die natürlichen Rohstoffe und die Fässer. „Daher müssen die Leute emotional verstehen, was wir hier tun.“
Das erklären Theres und Georg Glitz-Ehringhausen bei Führungen durch die Brennerei, an die sich eine Verkostung anschließt. Die findet im umfunktionierten ehemaligen Getreidespeicher statt. Wo die Geschwister eine kleine Küche eingerichtet haben, stand vor 50 Jahren noch eine Mühle, in der die Großeltern das Getreide für die Brennerei mahlen ließen.
An der Wand hängt die vergrößerte Schwarz-Weiß-Aufnahme des Ururgroßvaters Heinrich Ehringhausen. Ihm widmeten seine beiden Nachfahren eine eigene Produktlinie – „Der kleine Lord“. „So nannten ihn die Nachbarn, weil er sich zum Kirchgang immer gerne in Schale schmiss“, erzählt Georg. Außerdem riskierte es Heinrich Ehringhausen als erster Bauer der Umgebung, auf den lehmhaltigen Böden von Werne Getreide anzubauen. Seine Kollegen hielten es damals mehr mit Vieh- und Weidewirtschaft. Als Getreide wählte Ehringhausen Dinkel. Und nicht nur hier schließt sich der Kreis: Als Liebhaber von Eichen ließ der Vorfahr der Brennerei Ehringhausen in der Nähe einen ganzen Wald aus diesen Laubbäumen pflanzen.
Das Mahlen:
Das Getreide wird vor Ort zweifach fein geschrotet. Eine optimale Mahlstruktur begünstigt den Geschmack und die Arbeit der Hefe.
Die Maische: Im Maischebottich wird das frisch gemahlene Getreide mit Wasser aus dem hauseigenen Brunnen versetzt und erwärmt. Die Temperatur der Maische ist entscheidend, damit sich die Stärke in gärfähigen Zucker umwandelt. Nach kurzem Abkühlen werden die Hefen hinzugesetzt.
Die Gärung: Die Maische wird in Gärgefäße gefüllt. Drei Tage haben die Hefen Zeit, die Zuckermoleküle in feinaromatische Alkohole umzuwandeln.
Die Rohbranddestillation: Die reife Maische mit einem Alkoholgehalt von 8 bis 10 Volumenprozent (Vol.) wird in einer Destille siedend erhitzt. In einem besonderen Verfahren wird der Alkohol über Glockenböden stufenweise ausgetrieben, abgekühlt, verflüssigt und eingefangen. Der Rohbrand mit 85 Vol. wartet auf Perfektion.
Das Herzstück: In der Rektifikationsanlage wird der Rohbrand 14 Stunden 42-fach zu aromatischem Feinbrand destilliert. Sorgfältig wird der reine Mittellauf abgetrennt, die aromatischen Alkohole, das Herzstück – der Dinkelkorn mit 96 Vol.
Drei Jahre Kraft tanken: Mit 61 Vol. wird der Feinbrand in Fässer gefüllt. Durch die Wechselwirkungen mit dem Holz erlangt der Feinbrand ein besonders mildes Aroma und nimmt Geschmacksstoffe an – und das mindestens drei Jahre.
Das Finish:
Anschließend wird der Dinkelfeinbrand mit heimischem Wasser auf Genussstärke heruntergestuft und weiter veredelt. Grenzen setzt dabei nur die Fantasie der Destillateure.
Informationen zur Brennerei Ehringhausen finden Sie im Internet unter:
www.brennerei-ehringhausen.de
oder unter Brennerei Ehringhausen,
Ehringhauser Weg 2 in 59368 Werne,
Telefonnummer: 02389/2363.
Smashed Berry-Korn
Zutaten: 3 cl Dinkelkorn der Brennerei Ehringhausen, 3 cl Melonenlikör, 4 große Brombeeren, 4,5 cl Ananassaft, 4,5 cl Cranberrynektar, 2 cl Holunderlikör, Tonic Water.
Zubereitung: Die Brombeeren mit dem Löffel etwas andrücken und zusammen mit allen Zutaten außer dem Tonic Water in einem Cocktailshaker auf Eis kräftig schütteln. In ein Glas mit frischen Eiswürfeln abseihen. Mit Tonic aufgießen und umrühren.